ukrainische Kunst

ukrainische Kunst
ukrainische Kunst,
 
Kunst und Kunstdenkmäler auf dem Gebiet der Ukraine. Älteste Zeugnisse reichen bis ins Paläolithikum zurück. An der nördlichen Schwarzmeerküste existierten vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. städtische Zentren antiker und byzantinischer Kultur (u. a. Olbia, Kertsch, Cherson). Zwischen Don und südlicher Bug befand sich der Siedlungsraum skythischer und thrakischer Stämme mit reicher materieller Kultur, darunter qualitätsvolle Goldschmiedearbeiten (v. a. stilisierte Tierornamente). Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. hinterließen die Wandervölker der Goten, Hunnen und Awaren ihre Spuren. Von der l. Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. an Herausbildung von Kunst und Kultur der Ostslawen. Nach der Christianisierung 988 zeigte sich starker byzantinischer Einfluss auf Kunst und Kultur der Kiewer Rus, die die Grundlage der späteren ukrainischen wie russischen Kunst bildete (russische Kunst).
 
Erste, mit Fresken und Mosaiken ausgeschmückte Kirchen (Erlöserkathedrale in Tschernigow, 11. Jahrhundert; Sophienkathedrale in Kiew, 11. Jahrhundert) errichteten noch byzantinische Baumeister. Mit dem Zerfall des Kiewer Reiches Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden lokale Kunstzentren z. B. in Tschernigow, Wolhynien, Galizien. Begünstigt durch die politische Union mit Litauen und später Polen geriet die Westukraine im 14./16. Jahrhundert zunehmend unter westeuropäischen Kultureinfluss. Der Wehrbau (z. B. in Chotin) weist zum Teil gotische Züge auf, wobei in Wehrkirchen oftmals gotische und orthodoxe Formen miteinander verschmolzen. Zu den traditionell dreischiffigen Kreuzkuppelkirchen kamen neue Bautypen wie die Rotunde hinzu (Basiliuskirche in Wladimir-Wolynskij, 14. Jahrhundert). Rathäuser und Handelshöfe in den westukrainischen Städten orientierten sich ebenfalls am westlichen Vorbild. In der Monumentalmalerei (Fresken) behaupteten sich ostkirchliche Bildformen neben einer gleichzeitigen Tendenz zur Lockerung der byzantinisch-altrussischen Überlieferung und dem Eindringen volkstümlicher Elemente. In der Ikonenmalerei entstanden im 16./17. Jahrhundert mit der Parsuna (verstümmelt aus »persona«, porträthafte Darstellungen) erste Vorläufer weltlicher Porträtmalerei. Der Russe Iwan M. Fjodorow, der 1574 in Lemberg das erste slawische Abc-Buch veröffentlichte, trug zur Verbreitung des Buchdrucks in der Ukraine bei, der wiederum dem Holz- und Kupferstich Anregungen gab.
 
Die Angliederung an Russland 1654 hatte einen kulturellen Dualismus zur Folge, da sich der Ostteil der Ukraine in der Kunst stärker an Russland anlehnte, während der Westteil europäisch dominiert blieb. Im Sakralbau hatte sich der Typus der steinernen Ein- und Dreikuppelkirche endgültig durchgesetzt. Schwachen Renaissanceeinflüssen folgte im 17. Jahrhundert eine wahre Flut an barocken Formen, auch in der Ostukraine (Bernhardinerkirche in Lemberg, 1606-1630; Mariä-Schutz-Kirche in Charkow, 1689 ff.; Allerheiligenkirche in Kiew, 1696-98). Zwei- bis dreigeschossige Bürgerhäuser und Adelspaläste im Stil des so genannten ukrainischen Barock, der Typen des älteren Holzhauses in Stein übersetzte und die Fassaden ornamental üppig gestaltete, entstanden v. a. in der Westukraine (u. a. Kiew, Lemberg, Perejaslaw [heute Perejaslaw-Chmelnizkij]), wo die figurale Plastik ebenfalls westlichen Einflüssen folgte (z. B. zahlreiche Epitaphien). Eigenständigkeit bewahrte die Volksarchitektur: Holzkirchen mit Vielstufendach und Galerien (bedeutend u. a. die Kirchen in Mukatschewo, 18. Jahrhundert). Bedeutende Vertreter der ukrainischen Historien-, Landschafts- und Porträtmalerei im 17. Jahrhundert waren F. Senkowitsch und S. Korunka.
 
Mit dem 18. Jahrhundert mündete die und K. zunehmend in die russische Kunstentwicklung ein. So wurden ukrainische Maler wie A. P. Lossenko, D. G. Lewizkij, W. L. Borowikowskij, W. A. Tropinin an der Sankt Petersburger Akademie ausgebildet. Im 19. Jahrhundert stand die ukrainische Malerei dem sozial sensiblen Realismus der russischen Wanderermaler (Peredwischniki) nahe (z. B. Nikolaj K. Pimonenko, * 1862, ✝ 1912, und Kiriak K. Konstandi, * 1852, ✝ 1921). Einige klassizistische Bauwerke der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden nach Entwürfen von B. F. Rastrelli und A. J. Sacharow, die v. a. in Russland wirkten. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts prägten Eklektizismus und Historismus die Architektur (Landesbank in Charkow, 1898; Oper in Kiew, 1901); daneben aber vorzügliche Jugendstilbauten (z. B. in Kiew und Poltawa).
 
Nach der Oktoberrevolution 1917 überwogen im städtischen Bereich Wohn- und Gesellschaftsbauten; große Industriekomplexe entstanden (u. a. Wasserkraftwerk Dneproges, 1927-32). Der für die 1920er-Jahre für viele Bauten typischer Konstruktivismus wurde in den 1930er-Jahren durch den repräsentativen sowjetischen Neoklassizismus verdrängt, der nach dem 2. Weltkrieg zur vollen Blüte gelangte (wieder aufgebauter Boulevard Kreschtschatik in Kiew, 1948-53). Dem neuen Realismusverständnis nach 1920 war in der Malerei, die Elemente naiver Kunst und stilisierter Folklore verarbeitet, v. a. der Kreis um Michail L. (* 1882, ✝ 1938 [1939?]) und Timofij L. (* 1896, ✝ 1922) Bojtschuk verbunden. Einer neuen sozialen Ästhetik und der Forderung nach einer »Kunst der Masse« folgten Künstler wie u. a. Fjodor G. Kritschewskij (* 1879, ✝ 1947), Anatolij G. Petrizkij (* 1895, ✝ 1964), Karl D. Trochimenko (* 1885, ✝ 1979), die Themen der Revolutionszeit und des Bürgerkrieges, aber auch Stillleben und Landschaften gestalteten. Parallel dazu vollzog sich die allmähliche Ablösung avantgardistischer Strömungen (z. B. O. K. Bogomasow) durch den seit den 1930er-Jahren dominierenden sozialistischen Realismus. 1922 wurde die Staatliche Kunsthochschule in Kiew gegründet, 1933 der Verband bildender Künstler der Ukraine, in vielem mitverantwortlich für die Gängelung der Künste im Sinne stalinistischer Doktrinen. Zu den bedeutenden ukrainischen Malern und Grafikern nach 1945 zählen Tatjana N. Jablonskaja, W. G. Pusyrkow, Wladimir N. Kostezkij, K. W. Filatow, zu den Bildhauern Wassilij S. Borodaj, M. K. Wronskij. In den 1960er-/70er-Jahren traten in Malerei und Grafik u. a. hervor W. A. Tschekanjuk, Georgij W. Jakutowitsch, W. Lenzin, W. Kulikow, W. Nenado, in der Plastik u. a. E. P. Misko, W. M. Klokow. In den 1980er-/90er-Jahren machten unter zahlreichen Künstlern auf sich aufmerksam in der Malerei u. a. W. Belik, A. Borisow, N. Gontarowa, W. Mutij, A. Osipow, der »Naive« A. Ristenko, in der Plastik u. a. L. und F. Betliemskij, A. Kostin, A. Ridnij, P. Staruch.
 
 
Contemporary art from the Ukraine, Ausst.-Kat. (1980);
 M. M. Mudrak: The new generation and artistic modernism in the Ukraine (Ann Arbor, Mich., 1986);
 
Treasures of early Ukrainian art. Religious art of the 16th-18th centuries, bearb. v. S. Hnatenko (New York 1989);
 V. Marcadé: L'art d'Ukraine (Lausanne 1990);
 
Gold der Steppe, Archäologie der Ukraine, hg. v. R. Rolle, Ausst.-Kat. Archäolog. Landesmuseum, Schleswig (1991);
 
Avantgarde u. Ukraine, hg. v. J.-A. B. Danzker u. a., Ausst.-Kat. (1993).

Universal-Lexikon. 2012.

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